Policy Brief: Heimischer Gemüsebau in der Krise - Analyse und Lösungsidee
Klassischer Gemüseanbau und -vermarktung in Deutschland bedeuten heute einen hohen Kapitalbedarf für Investitionen in Boden, Maschinen und Gebäude bei stark schwankenden Saisonpreisen, zunehmenden Wetterextremen sowie niedrigen Marktpreisen und Gehältern. Immer weniger Menschen sind bereit, dieses hohe Unternehmensrisiko
zu übernehmen - bei gleichzeitig geringen unternehmerischen Chancen.
Der Gemüsebau in Deutschland braucht attraktive und faire Wettbewerbsbedingungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel, sonst sterben Beruf und Betriebe weiter aus.
Das Policy Brief als PDF inkl. Quellen und Belegen können Sie hier herunterladen.
Drei Fakten zum Gemüsebau in Deutschland
- Aktuell gibt es noch circa 5.777 Gemüsebaubetriebe (ca. 2% aller landwirtschaftlichen Betriebe) in Deutschland.1
- Über 75% der Gemüsebaubetriebe in Deutschland haben keine gesicherte Betriebsnachfolge.2
- Die Selbstversorgungsquote bei Gemüse in Deutschland beträgt circa ein Drittel.3
Gemüsebau in der Krise: Beruf und Betriebe sterben aus
Der Ausbildungsberuf “Gemüsegärtner:in” stirbt aus.
Im letzten Ausbildungsjahrgang 2023 gab es in Deutschland insgesamt 159 Auszubildende im Gemüsebau. Seit Jahren sind die Ausbildungszahlen im Gemüsebau erschreckend niedrig und sinken kontinuierlich. So gab es 2021 noch insgesamt 222 Auszubildende im Gemüsebau, d.h. in den letzten drei Jahren sind die niedrigen Zahlen nochmals um 30% gesunken.4
Eine ähnliche Situation finden wir auch bei den Meisterabschlüssen im Gemüsebau vor. Im Jahr 2022 haben insgesamt 36 Menschen erfolgreich die Meisterprüfung im Gemüsebau bestanden, die Jahre davor waren es 15 Menschen.5 Wir haben es also nicht nur mit einem massiven Fachkräftemangel im Gemüsebau, sondern mit dem Sterben des Ausbildungsberufes zu tun.
Die Zahl der heimischen Gemüsebaubetriebe sinkt dramatisch - seit 2000 hat sich die Zahl halbiert.
Im Jahr 2000 gab es noch mehr als 12.000 Gemüsebaubetriebe, was doppelt so vielen Betriebe wie heute entspricht. Das hat zur Konsequenz, dass bei insgesamt nur leicht steigenden Gesamtanbauflächen und Gesamterntemengen für Gemüse die Anbaufläche
pro Betrieb stark zunimmt. Es gibt immer weniger Betriebe mit immer mehr Anbaufläche. Der Wachstumsdruck führt dazu, dass Gemüsebaubetriebe wachsen oder aufgeben.6
Laut Landwirtschaftszählung im Jahr 2020 haben 75% aller noch existierenden Gemüsebaubetriebe keine gesicherte Hofnachfolge.7 Je kleiner der Betrieb, desto schwieriger ist die Nachfolge. Die aktuelle Branchenanalyse der DZ-Bank für die Landwirtschaft geht davon aus, dass bis 2040 ca. 60% aller landwirtschaftlichen Betriebe verschwinden8.
Für den Gemüsebau übersetzt heißt das, dass es in 16 Jahren nur noch 2.400 Gemüsebaubetriebe geben wird. Berücksichtigt man, dass laut Bauernverband fast die Hälfte aller Betriebsleiter über 55 Jahre alt ist9 und somit auch in diesem Zeitraum in Rente gehen wird, scheint diese Prognose realistisch zu sein.
Ursache und Lösungsidee
Die Marktmacht des Handels - Der Handel bestimmt das Preisgefüge, die Erzeugerkosten steigen stärker als die Erzeugerpreise.
Die Großhändler und Discounter haben in Deutschland einen Marktanteil von 70% in der Gemüsevermarktung10. Sie geben mit ihrer Einkaufspolitik den Preis vor. Die Mehrheit der Erzeuger gibt an, dass sie von den Einkäufern des Einzelhandels schon einmal mit starken Drohungen und Sanktionen konfrontiert worden seien. 85 Prozent sagten, die Verhandlungen fänden allgemein nicht auf Augenhöhe statt. Neun von zehn Erzeugern können es sich aber nicht leisten, sich mit der Spitzengruppe des Handels nicht zu einigen. Dann wären sie aufgrund der einseitigen Abhängigkeit in ihrer Existenz gefährdet.11 Entweder wird der Preis des Handels akzeptiert oder man kommt nicht ins Geschäft. Bei verderblichen Lebensmitteln wie Frischgemüse, das nicht Tage oder Wochen später wie Getreide verkauft werden kann, ist das ein erhebliches Druckmittel. Somit bestimmt der Handel das gesamte Preisgefüge der Gemüsebranche.
Das aktuelle Policy Brief zur Situation des Wettbewerbs in der Lebensmittellieferkette der Monopolkommission kommt zum Schluss, dass Anzeichen von möglichen Wettbewerbsproblemen und Marktmacht vorliegen. Diese Kurzanalyse wird unter anderem damit begründet, dass seit Jahren die Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger und Pflanzenschutz stärker gestiegen sind, als die Preise, die die Erzeuger*innen für ihre landwirtschaftlichen Produkte erhalten haben.12
Lösungsidee: Eine Sektoruntersuchung des Frischgemüsehandels durch das Bundeskartellamt - für transparente Preise und fairen Wettbewerb im Gemüsehandel
Aktuell ist die Preisbildung im Handel für Gemüse sehr intransparent, obwohl diese das Preisniveau für die gesamte Branche setzt. Um dem entgegenzuwirken, könnte im ersten Schritt eine sogenannte Sektoruntersuchung durch das Bundeskartellamt zum Frischgemüsemarkt mit seinen Handelspraktiken erfolgen. Die Ergebnisse der systematischen Analyse könnten Aufschluss darüber geben, ob die Marktmacht einzelner Anbieter zerschlagen, die Marktmacht der Erzeuger*innen gestärkt oder mehr Preistransparenz geschaffen werden muss.
Fußnoten
1 Garming H (2024) Steckbriefe zum Gartenbau in Deutschland: Gemüsebau. Braunschweig: Thünen-Institut für Betriebswirtschaft
2 Statistisches Bundesamt: Hofnachfolge in landwirtschaftlichen Betrieben der Rechtsform Einzelunternehmen, Landwirtschaftszählung 2020
3 Bundesinformationszentrum Landwirtschaft: Der Selbstversorgungsgrad: Wie ist es um die Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland bestellt?
4 Zentralverband Gartenbau (ZVG): Übersicht der Neuabschlüsse Ausbildungsverträge nach Fachrichtungen laut BiBB-Statistik in den Jahren 2021, 2022, 2023.
5 BMEL-Statistik: Ausbildung Landwirtschaft
6 Garming, H. (2024) Steckbriefe zum Gartenbau in Deutschland: Gemüsebau. Braunschweig: Thünen-Institut für Betriebswirtschaft
7 Statistisches Bundesamt: Hofnachfolge in landwirtschaftlichen Betrieben der Rechtsform Einzelunternehmen, Landwirtschaftszählung 2020
8 Branchenanalyse der DZ Bank
9 Situationsbericht 23/24 des Deutschen Bauernverbandes
10 Strohm, Garming, Dirksmeyer (2016) Entwicklung des Gemüsebaus in Deutschland von 2000 bis 2015: Anbauregionen, Betriebsstrukturen, Gemüsearten und Handel. Thünen-Institut
11 Vortrag Prof. Dr. Reiner Lademann, 26.4.2022
12 Policy Brief Monopolkommission zur Wettbewerbssituation in der Lebensmittellieferkette
Das Policy Brief als PDF inkl. Quellen und Belegen können Sie hier herunterladen.
Bei Fragen oder Interesse an Austausch zu diesem Policy Brief melden Sie sich gerne bei Matti Pannenbäcker, hallo@WirGarten.com.